LENA SCHMIDT
Lena Schmidts Serie “Broken Places“: Katastrophen ohne Ereignis
Aufgebrochene Straßen, verfallene Gebäude, zerstörte Stromnetzwerke, eingetaucht in eine düstere Atmosphäre zeitlicher Unbestimmtheit. Die Hamburger Künstlerin Lena Schmidt zeigt in ihrer Serie „Broken Places“ Bilder von Katastrophen, wie sie sich ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben haben. Die Dramatik der immersiven Szenen ergibt sich jedoch nicht aus dem Einblick in menschliche Schicksale, denn die urbanen Ansichten sind menschenleer. Stattdessen generieren die Verlassenheit der zerstörten Zeugnisse menschlichen Lebens und Wohnens sowie die uneindeutige Zeitlichkeit der Szenerien ein beunruhigendes Spannungsmoment: die Spuren eines katastrophalen Ereignisses weisen zeitgleich in eine unheilvolle Zukunft. Inspiriert von dokumentarischen Fotografien aktueller Ereignisse der Zerstörung überführt Lena Schmidt ihre gesammelten Seheindrücke in ihre sowohl skulpturalen wie auch malerischen Holzarbeiten. Dabei verleiht sie den einst technischen Bildzeugnissen eine haptische Sinnlichkeit, die das Gezeigte aktualisiert. In den Spuren der Zerstörung ist die vorangegangene Gewalt weiterhin anwesend und spürbar. Sogar das künstlerische Material, bestehend aus gesammelten Holzstücken, scheint nicht sicher vor der in ihm waltenden Wut verheerender Destruktion, deren Kehrseite jedoch die (künstlerische) Kreation ist.
Lena Schmidts Serie „Broken Places“ reiht sich in ein spezifisches Genre der Kunst ein, das erst in jüngster Zeit als ein solches bestimmt wurde und in Ausstellungen und Forschungsprojekten verstärkt Aufmerksamkeit erfährt. Bilder von Katastrophen sind nicht nur Zeugnisse einzelner tragischer Ereignisse, sondern werden im öffentlichen Diskurs als Ikonen unserer Zeit wahrgenommen. Spätestens seit einem Bewusstsein für die Klimakrise und die Bedeutung des Menschen als die dominante geologische Kraft im Zeitalter des Anthropozäns hat sich die Grenze zwischen Naturkatastrophen und solchen, die vom Menschen gemacht sind, aufgelöst. Auch in der Serie „Broken Places“ bleibt der Grund für die Zerstörung unklar, aber er trifft die Grundpfeiler unseres Lebens: die zerfallene Architektur lädt nicht im Sinne einer romantischen Ruinenästhetik zur imaginären Vervollständigung ein, sondern verweist auf einen drohenden unwiederbringlichen Verlust. Es werden keine Individuen gezeigt, die ihre Wohnung verloren haben; vielmehr ist es die gesichts- und gestaltlose Menschheit als solche, die unbehaust, d.h. ohne Verankerung oder sicheren Rückzugsort in einer Zeit globaler Katastrophen nach neuen Perspektiven suchen muss.
Das Leben als Geflüchteter ist zukünftig nicht länger die Ausnahme, so scheinen Lena Schmidts Bilder zu kommunizieren, indem eine apokalyptische Ahnung farbig am Horizont im Fluchtpunkt der zerbrochenen Straßen aufglimmt oder ein scheinbar flammendes Inferno hinter den Fenstern einer dunklen Hauswand wütet. Wir werden mit unmittelbar vor uns aufklaffenden Abgründen undurchdringlicher Schwärze konfrontiert, deren bedrohliche Tiefe die Künstlerin mit Lacken und Edding evoziert. I
Das Interesse der Künstlerin an zerstörter Infrastruktur und versehrter Architektur ist symptomatisch für das Verständnis von Katastrophen als nicht nur einschneidende, sondern andauernde Ereignisse. Als Wege der Kommunikation sind die Straßen und Masten Zeichen der Verbindung und der technischen Errungenschaften der Zivilisation. Durch sie schreibt sich der Mensch in die Natur ein und produziert perspektivierte Landschaften. Symbolisch markieren sie die Strukturen menschlichen Fortschritts und Gestaltungswillens. Indem Lena Schmidt gestürzte oder im Sturz begriffene Masten zeigt und abgerissene Kabel nutzlos an erloschenen Verkehrsampeln herabhängen lässt, stellt die Künstlerin die Frage nach der Zukunft menschlicher Gemeinschaften, ihren Abgrenzungen voneinander und ihrer Einbindung in die sie umgebende Welt.
Zugleich thematisieren die Werke den Zusammenbruch menschlicher Zeichen- und Symbolsysteme nicht nur auf motivischer, sondern auch auf materieller Ebene. Die teilweise graffitiartig über die aufgeplatzten Straßenoberflächen geschriebenen kryptischen Zeichen verweisen nämlich auf ein räumliches und mediales Kippmoment der Arbeiten. Hier wird der, dem unnachgiebigen Tiefensog der Bilder folgende Betrachterblick plötzlich auf eine, auch die Bildträger erosionsartig ergreifende Zerstörung gelenkt. Analog zu den zerfallenen Fassaden der Bildwelten sind auch die Holzarbeiten Teil eines natürlichen wie auch menschengemachten Zerstörungsprozesses. Das Alter und die Geschichte der Holzfundstücke zeigen sich in ihrer Maserung und ihrer Versehrtheit. Zudem hat ihnen die Künstlerin mit Axt und Beitel zugesetzt. Und doch ist das Moment der Gewalteinwirkung zeitgleich Augenblick der Kreation. Die Zerstörung potenziert sich, indem sich die physische Gewalteinwirkung der Künstlerin auf die Holzstücke in Bildwelten neuerlicher Destruktion verwandelt. Die Hoffnung auf einen Neuanfang ist den Bildern der Katastrophe dabei ebenso eingemeißelt, wie die Gewissheit ihrer unaufhaltsamen Wiederholung. Spuren physischer Gewalteinwirkung verwandeln sich so in eine Meditation über die individuelle Bedeutung spezifischer Orte, ihrer Beispielhaftigkeit und Vergänglichkeit.
Spätestens mit dem Klimawandel hat sich unser Bewusstsein dafür geschärft, dass einer Katastrophe nicht länger ein spezifisches Ereignis zuzuordnen ist, sondern eine andauernde Verfasstheit der Welt meint und sich damit der unmittelbaren Wahrnehmung entzieht. Die Visualisierung von Katastrophen stellt für Künstler und Künstlerinnen darum eine zunehmende Herausforderung dar. Lena Schmidt begegnet dieser Herausforderung, indem sie den Objekten und Infrastrukturen ihrer urbanen Szenen eine eigene Agency verleiht. Mit einer unheimlichen Lebendigkeit ausgestattet, die sich in ihrer sublimen Farbigkeit und bewegten Form artikuliert, werden die abgenabelten Verkehrslichter, sich neigenden Strommasten und zerfallenden Straßen zu Akteuren eines an die Oberfläche dringenden Prozesses. Dadurch wirken die zerstörten Straßenzüge trotz ihrer Verlassenheit wie von einer inneren Bewegtheit durchdrungen, die dem Rezipienten den zunehmenden Verlust seines eigenen, einst sicheren Standpunktes deutlich macht.
In der Betrachtung von Lena Schmidts Werken der Serie „Broken Places“ erfährt sich der Mensch im Sinne Bruno Latours als ein Erdgebundener, der seinen Boden, das bedeutet sein Zuhause und die Verbindung zu seiner Umwelt verloren hat. Und doch wird in der Betrachtung der sinnlich affizierenden Werke deutlich, dass in der Kunst durch die Erfahrung von Holz als einem natürlichen Material und gleichzeitig begrenzten Rohstoff eine Verbindung von Natur und Zivilisation prinzipiell möglich ist. Die Zukunft unserer Zeit, so lassen Lena Schmidts ortlose und entkontextualisierte Katastrophenbilder (durchaus mit Donna Harraway) erahnen, ist ungewiss und erfordert neue Wege der Reflexion und der Konnektivität. Damit ist Lena Schmidts Serie „Broken Places“ aktiver Bestandteil eines visuellen Diskurses, dem eine besondere (Ein-) Dringlichkeit unterliegt. Nicht als Abbilder eines dramatischen Ereignisses, sondern als sinnlich affizierende Objekte sind sie Medien der Zeit- und Grenzenlosigkeit eines gegenwärtigen Katastrophenbewusstseins, das die Werke parallel mitgestalten.
Text: Anne Hemkendreis
Lena Schmidt's »Broken Places« series: Disasters without Incident
Broken streets, collapsed buildings, destroyed power networks, immersed in a gloomy atmosphere of temporal indeterminacy. In her work series "Broken Places", the Hamburg artist Lena Schmidt shows pictures of catastrophes as they have been inscribed in cultural memory. The drama of the immersive scenes, however, does not result from the insight into human fates, because the urban views are deserted. Instead, the abandonment of the destroyed evidence of human lives and dwellings as well as the ambiguous temporality of the scenes generate a disturbing moment of tension: the traces of a catastrophic event point at the same time into a disastrous future. Inspired by documentary photographs of current events of destruction, Lena Schmidt transfers her collected visual impressions into her sculptural and painterly woodwork. In doing so, she transforms the technical images to a haptic sensuality that updates what is shown. In the traces of the destruction, the previous violence is still present and palpable. Even the artistic material, consisting of collected pieces of wood, does not seem safe from the devastating destruction that rages within it, the counterpart of which, however, is (artistic) creation.
Lena Schmidt's work series »Broken Places« is part of a specific genre of art that has only recently been identified as such and is attracting increasing attention in exhibitions and research projects. Images of catastrophes are not only evidence of individual tragic events, but are perceived in public discourse as icons of our time. Now, that there is an overall awareness of the climate crisis and the importance of humans as the dominant geological force in the age of the Anthropocene, the boundary between natural disasters and those made by humans has dissolved. In the »Broken Places« work series, too, the reason for the destruction remains unclear, but it hits the basics of our lives: the crumbling architecture does not invite imaginary completion in the sense of a romantic ruin aesthetic, but points to an impending irretrievable loss. No individuals are shown who have lost their homes; Rather, it is the faceless and shapeless human race as such that have to look for new perspectives in a time of global catastrophes, i.e. without anchoring or safe retreat.
Life as a refugee will no longer be the exception in the future, that is what Lena Schmidt's works seem to communicate, through an apocalyptic foreboding glow on the horizon in the vanishing point of the broken streets or an apparently flaming inferno raging behind the windows of a dark house wall. We are confronted with the gaping abysses of impenetrable blackness, the threatening depth of which the artist evokes with varnish and marker pen.
The artist's interest in destroyed infrastructure and damaged architecture is symptomatic of the understanding of catastrophes as not just incisive, but ongoing events. As a means of communication, the roads and masts are symbols of the connection and technical achievements of civilization. Through them, humans inscribe themselves into nature and produce perspectivated landscapes. They symbolically mark the structures of human progress and ability to shape the earth. By showing fallen or falling masts and torn cables hanging uselessly from extinguished traffic lights, the artist poses the question of the future of human communities, their demarcation from one another and their integration into the world around them.
At the same time, the works address the collapse of human sign and symbol systems not only on a motivic, but also on a material level. The cryptic signs, sometimes written like graffiti over the cracked street surfaces, symbolise namely a spatial and material tipping point in the work. Here the viewer's gaze, following the unyielding deep suction of the images, is suddenly directed to a destruction that also affects the image carrier like an erosion. Analogous to the crumbling facades of the pictorial worlds, the woodwork is also part of a natural as well as man-made process of destruction. The age and history of the wooden finds are evident in their grain and damage. In addition, the artist attacked them with an ax and chisel. And yet the moment of violence is also the moment of creation. The destruction increases as the artist's physical violence on the pieces of wood is transformed into visual worlds of renewed destruction. The hope for a new beginning is carved into the images of the catastrophe, as is the certainty of their unstoppable repetition. Traces of physical violence are transformed into a meditation on the individual meaning of specific places, their exemplary nature and impermanence.
Since the current climate change, our awareness has sharpened that a catastrophe can no longer be assigned to a specific event, but means a permanent state of the world and thus eludes immediate perception. The visualization of catastrophes is therefore an increasing challenge for artists. Lena Schmidt meets this challenge by giving the objects and infrastructures of her urban scenes their own agency. Equipped with an uncanny liveliness, which is articulated in its sublime color and agitated form, the detached traffic lights, sloping power lines and crumbling streets become actors in a process that is rising to the surface. As a result, the destroyed streets, despite their abandonment, appear to be permeated by an inner movement that makes the recipients aware of the increasing loss of their own, once safe standpoint.
When looking at Lena Schmidt's works in the »Broken Places« series, viewers see themselves in the spirit of Bruno Latour as someone who is earthbound, who has lost his ground, that is, his home and the connection to his environment. And yet when looking at the sensually affecting works it becomes clear that in art, through the experience of wood as a natural material and at the same time limited ressource, a connection between nature and civilization is essentially possible. The future of our time, Lena Schmidt's placeless and decontextualized images of catastrophes (certainly with Donna Harraway) suggest, is uncertain and requires new ways of reflection and connectivity. Lena Schmidt's »Broken Places« series is thus an active component of a visual discourse that is subject to a particular urgency. Not as images of a dramatic event, but as objects that affect the senses, they are media of the timelessness and limitlessness of a contemporary awareness of catastrophes, which the works help to shape in simultaneously.
Text: Anne Hemkendreis
Mehr
Weniger