Malwine Stauss
Die Figuren von Malwine Stauss wirken zart, aber keineswegs zerbrechlich oder schwach: Sie stehen oder sitzen mit kräftigen Beinen und großen Stiefeln fest auf dem Boden, tragen knallig bunte Overalls und stemmen die Hände in die Hüften. Sie nehmen Posen ein, die Selbstbewusstsein und Zuversicht ausstrahlen - und die manchen Betrachter:innen latent provokant vorkommen mögen. Denn die Frauen, die Malwine Stauss in ihren Zeichnungen und Skulpturen kreiert, nehmen Raum ein und behaupten sich in ihrem Umfeld. Sie stehen im Mittelpunkt des Bildgeschehens und dominieren es mit ihren bunten Körpern und dynamischen Frisuren. Die auf den ersten Blick ungewöhnlich flächig und reduziert anmutenden Gesichter scheinen ihre Vorbilder in der griechischen Archaik zu finden und wirken bei genauerem Hinsehen doch viel gelöster, individueller und lebendiger als diese. Sie strahlen Freundlichkeit und Charakterstärke aus.
Umspielt werden die Figuren von modernen Arabesken in Form von Kugelketten-Zöpfen und geometrischen Ranken. Eigenständig stehend, weisen diese Ornamente eine beinahe alchemistische, faszinierend vitale Wandlungsfähigkeit auf. Eine der Protagonistinnen wird von bunten Tunneln umfasst, die an frühere Disko- Beleuchtungen erinnern mögen und gleichzeitig nicht weit entfernt sind von einer christlichen Mandorla, der Korona von Himmelskörpern oder einem sehr farbintensiven Regenbogen. Einflüsse aus Popkultur, Mode und Musik begleiten den Entstehungsprozess der Arbeiten von Malwine Stauss und sind diesen als vielgestaltige Gegenwartsbezüge abzulesen. Für die Entwicklung ihrer leicht anmutenden, mitunter verspielt wirkenden Kompositionen bedient sich Malwine Stauss nicht nur einer klaren, vereinfachten Formensprache und eines Farbspektrums, das jenem der 1960er und -70er Jahre an Intensität und Vielfalt in nichts nachsteht, sondern zeigt auch eine große Affinität zu bunten Mustern sowie zu Gouache und Pastellfarben.
Intuitiv findet Malwine Stauss in der zentralen Platzierung und Anordnung ihres Bildpersonals oft eine verblüffende Nähe zu jenen christlicher Ikonen – was kein Zufall sein dürfte, geht es doch an beiden Stellen um die auratische Präsentation kraftvoller Symbolfiguren. Spiritualität ist in den Werken von Malwine Stauss auch inhaltlich präsent: Eine künstlerische Nähe und Inspiration fand sie bereits im Studium in den Werken spritistischer Malerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts wie Hilma af Klint, Emma Kunz und Georgiana Houghton. Immer wieder - und besonders in ihrem gleichnamigen Buch - tauchen Hexen auf, welche die Künstlerin mit Wissen, Selbstbestimmtheit, Einfluss, Kraft und Naturverbundenheit assoziiert: Eigenschaften, Werte und Sehnsuchtsorte vieler Frauen weltweit. Die Geschichten, die Malwine Stauss mit ihren Zeichnungen, Textformationen und Büchern erschafft, sind persönlich und zugleich abstrahiert. Sie erzählen von Lebenserfahrungen und Reisen, Emotionen und Stimmungen, Begegnungen und menschlichen Verbindungen. Sie spüren der menschlichen Verfasstheit, Ängsten, Sehnsüchten und inneren Bewegungen nach. Malwine Stauss schafft in ihren lebensbejahenden Bildern eine Utopie, die gleichzeitig eine Manifestation dessen ist, was bereits in unserer Welt vorhanden ist: solidarische Gemeinschaften, Aufbruch - und starke Frauen im positivsten Sinne.
MALWINE STAUSS (*1993 in Dresden) lebt und arbeitet in Leipzig. Von 2013 bis 2019 studierte sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig im Fachbereich Grafik-Design und erlangte dort ihr Diplom in der Fachklasse für Illustration bei Prof. Thomas M. Müller. Mit weiteren Künstler:innen ist sie Teil des Kollektivs SQUASH. 2019 wurden die Arbeiten von Malwine Stauss für die kuratierte Sonderausstellung Academy POSITIONS auf der POSITIONS Berlin Art Fair ausgewählt und während der Berlin Art Week gezeigt. Seitdem hat Malwine Stauss mit „HEXEN“ (Rotopol, 2020) und „The Trip“ (Colorama, 2020) zwei eigene Bücher veröffentlicht und war in mehreren Ausstellungen vertreten sowie in Interviews und Podcasts präsent. Kürzlich wurde zudem das Buch “Sich erinnern, man selbst zu sein” mit Texten von Paulina Czienskowski und Illustrationen von Malwine Stauss im Korbinian Verlag publiziert. Zur documenta 15 erscheint im Juni das Begleitbuch “Gehen, finden, teilen”, an dem Malwine Stauss ebenfalls mitgewirkt hat. Ihre neueste Publikation „Sola“ wurde 2022 beim Verlag Rotopol in Kassel herausgegeben. Als Gastdozentin ist die Künstlerin 2022 außerdem erstmals an der HFG Karlsruhe tätig.
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