Dore O. (1946-2023)
Dore O.: Projektion
Die zweifache Documenta Teilnehmerin Dore O. Nekes war eine bekannte Größe im Bereich des deutschen Experimentalfilms. In Insider-Kreisen gilt Dore O., die an der Seite ihres Mannes Werner Nekes in den Sechzigern zu den Gründern der Hamburger Filmemacher-Kooperative gehörte, sogar als einzigartige Figur auf der Bühne des Avantgarde-Films.
Dore O. hat ein mehrfach ausgezeichnetes Werk geschaffen. So erhielt sie u.a. in Zusammenarbeit mit ihrem Mann den Deutschen Filmpreis, Filmband in Silber für «Jüm-Jüm» und den Preis der deutschen Filmkritik für «Beuys» (1981). Für ihren Film «Kaskara» bekam sie sowohl den Großen Preis bei der XPRMTL 5 in Knokke als auch den Preis der Deutschen Filmkritik. «Blindmans Ball» wurde als bester Experimentalfilm auf den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen ausgezeichnet.
Die ausgebildete Malerin und Designerin produzierte aber auch Bilder – zunächst als Gemälde später zunehmend in Form von Filmstills, Fotos oder Büchern. Ihr komplexes Werk, in dem das Filmen selbst zuletzt sogar ganz in den Hintergrund getreten war, lässt sich kaum einer einzelnen Sparte zuordnen. Dore O. experimentierte mit den verschiedensten Medien und Bildträgern sowie deren Kombination. Aus Fotos und Polaroids entstanden Objekte, Assemblagen, Mobiles, Gemälde oder Installationen. Diese Arbeiten erhielten im Gegensatz zu ihren Filmen bisher noch nicht die Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt.
Dietrich Kuhlbrodt schrieb 1988 «Es ist an der Zeit herauszuposaunen, dass Dore O.s Werk einzigartig im deutschen Avantgardefilm ist." (Frankfurter Rundschau, 31.12.1988). Nun gilt es herauszuposaunen, dass auch ihre anderen Werke einzigartig waren bzw. es noch sind.
Unter dem Titel «Projektion» zeigen wir deshalb auf unserem Stand eine Auswahl an Arbeiten von Dore O. , die ihre Auseinandersetzung mit der Welt des Bildes veranschaulichen soll.
Es sind Arbeiten, in denen die physischen Grenzen der Dinge und Personen aufgelöst werden. Ansichten überlagern sich und schieben sich übereinander. Ein Beispiel sind die «Whiteheads», kleine mit einer weißen Vollmaske übermalte Portrait-Fotos nach Gainsborough (21 x 21 cm), sowie ein größeres übermaltes Portrait-Foto eines Mannes, aus dem nur die Augen herausschauen und das mit einer Projektion aus dem Film «Lawale» von 1969 überblendet wird – davor sitzt der jeweilige Betrachter auf einem Hochstuhl und verfolgt die Projektion. Örtliche und zeitliche Bindungen werden mit dieser Installation aufgehoben. Das sichtbare Abbild wird in seiner Aussagekraft und Gültigkeit untersucht und so nachvollziehbar in Frage gestellt.
Da für Dore O. ganz klar analoges Filmmaterial im Vordergrund stand, sind auch die Bildträger nicht sicher vor Fragmentierung – sprich Filme werden zerschnitten und so selbst zu Objekten. Analyse und Schaffen werden im Experiment im Idealfall eben eins.
Die allem zu Grunde liegenden Fragen scheinen hier zu sein: Was sagen Bilder aus? Über die Realität, über sich, über denjenigen der sie gemacht hat. Wie wirken sie in anderem Kontext und woraus bestehen sie eigentlich? Die Kunsthistorikern Karin Stempel geht vertiefend darauf ein, in welcher besonderen Weise sich Dore O. mit dem Medium des Polaroids beschäftigt. Bei ihren Aufnahmen verwendet Dore O. die 320 Polaroid Land-Camera, den frühen Kameratyp, der noch eine direkte Bearbeitung des Filmmaterials zulässt. Dore O. vollziehe hier eine «Symbiose zwischen Malerei und Fotografie» schreibt Stempel, denn Dore O. «verletzt» die fotografischen Schichten, hebt sie zum Teil ins Relief, strukturiert die Oberfläche. Stempel beschreibt das als Zerstörung des ursprünglichen Sinngehalts des Abgebildeten, was dazu führt, dass das Polaroid selbst zum Gegenstand wird. Die Ambivalenz der Bilder werde so verstärkt und ihnen eine weitere Sinnschicht hinzugefügt. Unter anderem erhalten sie damit eine Zeitdimension unabhängig von dem Moment, den das Licht aufs Material gebannt hat.
In verschiedenen solcher Facetten in den Arbeiten von Dore O. ist der Geist der 60er Jahre erkennbar: die legendäre Stimmung aus Vergessen- und Veränderungswille, die bis in die aktuelle Kunstproduktion nachwirkt. Dore O. repräsentiert in reiner Form eine Künstlergeneration, die sich nicht nur aufgelehnt, sondern auch Alternativen geboten hat. Zwischen aktiver Ablehnung des Warencharakters und Vereinnahmung durch ideologische Systeme wurde diese Kunst damit selbst zur Ideologie. Heute wird sie mehr denn je als Grundstein von
Vielfalt und Freiheit gefeiert und von nachfolgenden Generationen in der Kunst zitiert und immer wieder neu interpretiert.
Dr. Nicola Schröder (Zürich)
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