Edvardas Racevicius (1974 in Klaipėda)
Der grobe Schnitzer aus Litauen
Wie der Priesteranwärter Edvardas Racevičius zum Bildhauer kleinformatiger Holz-Skulpturen wurde
Der 1974 in Klaipėda geborene Edvardas Racevičius kam schon in seiner Kindheit das erste Mal mit Kunst und deren Methodik in Kontakt. Bereits mit 9 Jahren begann seine Ausbildung in der Gestaltung auf einem Kunstgymnasium in seinem Geburtsort in Litauen. Die Disziplinen Malerei und Grafik empfand er allerdings stets als Qual und die Beendigung der Klasse als „wahre Erleichterung“. Von der folkloristischen Kunst seiner Heimat, wo man mitten im Wald plötzlich auf einen am Baum befestigten Engel stoßen kann, war er gleich fasziniert und auch die in Litauen geläufigen traditionellen Ikonen hat er unzählige Male geschnitzt. Die Verbundenheit von Mensch und Natur, Bild und Abbild ist daher tief verwurzelt, Holz als künstlerisches Material zu nutzen eine Eingebung. Auch der Aufenthalt im Priesterseminar von 1992 bis 1995 konnte seine Passion als Holz-Bildhauer nicht stoppen, im Gegenteil intensivierte sich seine künstlerische Auseinandersetzung mit einem der ältesten handwerklich genutzten Materialien nur noch. Zwar wandte er sich doch vom Berufswunsch des Priesters ab, nicht aber ohne 1997 sein Theologie-Studium an Pädagogischen Universität Vilnius zu beenden.
Direkt im Anschluss listet seine Vita nur noch den Beruf Bildhauer auf, der er im Grunde schon immer war. „Ich habe in meinem Leben nie gearbeitet, keinen anderen Beruf erlernt und keine anderen Fähigkeiten“, sagt er selbst. Aussagen wie diese, machen ihn zum beneidenswerten Freigeist, der noch kein festes Zahnrad in der oft unberechenbaren Maschinerie des Kunsthandels geworden ist, wenngleich schon einige Galeristen angeklopft haben. Heute lebt und arbeitet Racevičius in Greifswald, der Stadt, die Kunstfreunden vor allem als Geburtsort des frühromantischen Malers Caspar David Friedrich geläufig ist. Der Liebe wegen zog der Litauer 2002 endgültig nach Deutschland.
Sein Material beschafft sich der Künstler vor allem von der Stadt, wenn wieder alles gestutzt und beschnitten wurde. Der „Abfall“ ist seine Grundlage. Bevorzugt arbeitet er aufgrund der einheitlichen Farbe und leichten Bearbeitungsmöglichkeiten mit Linden- und Pappelholz. Aber auch Geäst und hölzerne Haushaltsgeräte schaffen es in sein Atelier. Immer aus einem Stück schnitzt er dann seine Kunstwerke, die stets auf dem Spiel mit dem vorgegebenen Material basieren. So offenbart sich etwa eine männliche Figur von 2012 mit Auswüchsen wie Krebsscheren an den Armen; eine andere winzige Variante aus dem gleichen Jahr hingegen (6 x 1,9 x 1,3 cm) blickt auf die ganze Welt von einem Besenstiel herab.
Dabei steht für den Künstler, der sich selbst keineswegs als intellektuell beschreibt, das existenzielle Moment im Vordergrund. Universelle Fragen, wie „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ liegen so stark im menschlichen Wesen verwurzelt, dass sie auch in den Metamorphosen zwischen Mensch und Natur von Racevičius zum Tragen kommen. Die Grenzerkundungen, wo das Material aufhört und die menschliche Figur anfängt, gehören dabei zum Kern seiner Kunst. Der unbekümmerte Umgang mit Übergängen und Barrieren und unserer diffizilen Wahrnehmung lassen Figuren entstehen, die zwischen Scherz und Groteske changieren. Wenn man also die Figur mit dem gespaltenen Schädel betrachtet (o.T., 2013), erkennt man den Humor, „aber ein bisschen Schmerz ist auch dabei“.
Die absurd-bizarren Kompositionen schöpfen ihre Kraft aus der Manipulation, der Zerlegung und oft groben Bearbeitung des Holzes sowie aus dem Spiel mit Proportionen, Oberflächen und Strukturen, das die für uns zwar erkennbare, aber in ihrer Ordnung diffrakte Welt repräsentiert. Der – wie so oft in schwarz und weiß gekleidete – Herr, dem vorne wie hinten gleich ein ganzes Bündel Äste durch die Bauchhöhle ragt, verdeutlicht ebenso wie diejenige Figur, die buchstäblich ihren Kopf verliert (o.T., 2013) auf eindringlichste Weise, dass „das Groteske dazu neigt, all das hervorzuheben, was die biologisch-materielle Grundlage und die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers betrifft“ (Elisheva Rosen).
Racevičius Geschöpfe zeugen jedoch nicht allein von einem grotesken Potenzial, sondern ebenso von einer ungeheuren „metaphorischen Gewalt“, wie sie Martin Seel einmal beschrieb. Sie schockieren, wirken brutal, bedrohlich und surreal, erscheinen ihrerseits als gewaltsam, obwohl ihnen keine Darbietung von direkten Gewaltvorgängen innewohnt und bringen uns Betrachter, die es gewohnt sind über Tod und Vergänglichkeit scherzend Kunst zu betrachten, sonderbarerweise zum Lächeln.
Denise Wiedner
Mehr
Weniger