Michael Tolloy
Michael Tolloys Skulpturen sind Geschöpfe ganz besonderer Art. Auf der einen Seite verpflichten sie sich kunsthistorischer Tradition, auf der anderen Seite formulieren sie eine tastende, doch zielstrebig konsequente Hinwendung zu einem zeitgenössischen Menschenbild, inhaltlich, formal und technisch in der Verwendung des traditionellen skulpturalen Materials.
Gleichermaßen konsequent fokussiert die in der Galerie Voss gezeigte Schau diesen neuen Anspruch in der Werkchronologie des in Innsbruck gebürtigen Künstlers, indem sie Skulpturen der letzten Jahre von ebenso einnehmender Ästhetik wie klar distanzierender Wirkung präsentiert. Denn Ambivalenzen dieser Art zu bündeln, stellt auch eine zentrale Vermittlungsaufgabe von Kunst heute dar.
Nähe und Distanz, Eindringlichkeit und Gleichgültigkeit, diese Ambivalenz erfährt der Betrachter von Tolloys Skulpturen bei der ersten Begegnung. Augen blicken ihn an, durch ihn hindurch, ob geschlossen, geöffnet, in die Ferne gerichtet, irritierende Blickachsen in die Ferne tun sich auf, die man sucht, aber auch bei der Annäherung an das Objekt nicht eindeutig inhaltlich fixieren kann.
Im Zentrum der Arbeiten von Michael Tolloy steht der Mensch, als Ganzkörperfigur, Büste, Kopfstück dargestellt, manche lebensgroß, andere leicht monumentalisiert. Alle halten den Betrachter in gebührender Distanz, statuarisch stehen sie, still schauen sie, manche wirken unnahbar, stolz, archaisch erhaben. Andere verharren in kindlich oder jugendlich unberührtem Ausdruck. Junge Frauen, feingliedrig filigran und mit zarten Gesichtszügen blicken fragend, manche leicht auffordernd, alle sind sie von ruhiger, stiller Eleganz.
Auch die Größe der Körper verweist auf Distanz, will man mehr über die dargestellten Figuren, ihren Ausdruck von Innerlichkeit und gleichgültiger Verschlossenheit erfahren. Alter und Geschlecht sind erkennbar, doch vage definiert. Details naturalistischer Abbildung werden angedeutet, aber bleiben im künstlerischen Kontext isoliert, sodass Gestik und emotionaler Ausdruck in einem schwebenden inhaltlichen Kontext und in einem weiten skulpturalen Umraum verharren, um dort eine unbestimmte zeitliche Dauer zu entfalten, die der klassischen Skulptur zu eigen ist.
Der Aspekt von Zeitlosigkeit verweist bei Tolloy sowohl auf seine Verpflichtung gegenüber der Tradition, besonders deutlich in der Verwendung des künstlerisch oft unterschätzten Materials Holz als auch auf eine inhaltlich unbestimmte Zukunftsvision. Holz sei für ihn ein „bescheidenes Arbeitsmaterial“, der „positive Kern, die Seele meiner Arbeiten“. Explizit nutzt der Tiroler die Zirbel, das Holz seiner Heimat, die Linde, ein in der Gotik und Renaissance beliebtes Material und die Zypresse mit ihrer Maserungsvielfalt. Je nach Werkgruppe betont Tolloy die Eigenschaften des Materials, lässt Rissen Zeit zu arbeiten, sich zu vertiefen, modelliert Oberflächenmaserungen mit Bergkreide, um natürliche Eigenschaften zu akzentuieren, schleift Holzflächen samtig glatt wie Marmor oder baut aus einer Mixtur naturnaher Materialien schrundige Oberflächenstrukturen auf, die natürliche Eigenarten gegossener Materialverläufe simulieren und somit den traditionellen Handwerksprozess zitieren und nobilitieren.
Die hier ausgestellten Arbeiten zeigen den umgekehrten Prozess. Nur in einzelnen Werken klaffen Kerbungen wie Wunden, ansonsten sind Oberflächen geschlossen, geglättet, samtweich poliert, verbergen die Materialität oder deuten sie durch feine, fast grafisch anmutende Linien allenfalls an. Der Betrachter tritt näher, möchte sich der Haptik der Werke versichern, die luzide wie Porzellan schimmern und dabei warm wie menschliche Körper die Künstlichkeit des Materials infrage zu stellen scheinen. Kunst, Künstlichkeit, Elemente naturalistischer Gestaltung und abstrahierender Form gehen eine mehrdeutige Symbiose ein.
Geht es bei dieser Materialverfremdung um eine bloße Irreführung des Betrachters zum Zweck bewusstseinsschärfender Reflexion über ein neues Menschenbild? Steht die Funktion von Kunst, Künstlichkeit oder gar künstlicher Intelligenz zur Disposition? Roboterartig wirken manche der Objekte in ihrer zur Perfektion gesteigerten kalten Ästhetik, der makellosen Proportion des Gesichts, dem entindividualisiert regungslosen Ausdruck, der ephemer filigranen Körperhaftigkeit.
Unterschiedlich im Material, vergleichbar im Ausdruck und auf dem Kunstmarkt arriviert sind Jaume Plensas Objekte, konstruiert aus Glas, Stahl, Polyester, Kunstharz, Bronze. Als monumentale Köpfe oder in sich ruhende Gesten von Rückzug und Gelassenheit stehen sie still, singulär, monumentalisiert in Landschaften und im städtischen Raum, markieren Inseln innerer Ruhe, schaffen Orte der geistigen Einkehr. Stoisch fordern sie den temporären Rückzug aus urbaner Betriebsamkeit, laden ein zum Innehalten, verbinden unberührte Natur und öffentlichen Raum. Es sind Arbeiten und darin sind sie Tolloys Intention nah, die Spiritualität, Schönheit, Perfektion evozieren als menschlichen Habitus, als Postulat und menschliches Potential. „In einer sehr lauten Welt gilt es, Stille herzustellen“, formuliert Plensa als eines seiner dringendsten künstlerischen Anliegen.
Michael Tolloys Kunst lädt ebenso ein zum Innehalten, erinnert an den leisen Dialog, fordert Introspektion in Zeiten gesellschaftlicher Turbulenz. „Vielleicht kann ich etwas mitgeben für ein gutes Miteinander", sagt er lakonisch. Sensibilisieren kann seine Kunst bestimmt - für den konzentrierten Blick nach innen in einer an Äußerlichkeiten allzu reichen Welt.
Text: Christiane Dressler, Essen
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