Gratwanderungen mit Kontur
Ulrich Okujeni ist kein Maler, der einem starren Konzept folgt. Seine Bildideen kombiniert er mit spontanen Einfällen, die als Reaktion auf Zwischenzustände der Werke entstehen. Es ist ein stetiges Wechselspiel aus proaktiven und reagierenden Elementen, die seinen Schaffensalltag ausmachen. So kann der Ausstellungstitel als dezenter Hinweis auf den kraft- und ideenzehrenden Arbeitsprozess während des Malvorgangs verstanden werden. Malerei wird zur Bändigung von Material, das in die richtige Form und Farbe gebracht werden muss, um zu Kunst zu werden.
GET IN SHAPE GET COLOR könnte jedoch auch als Aufforderung allgemeiner Natur verstanden werden, als humorvoller Kommentar des Künstlers auf das omnipräsente Effizienz- und Individualisierungsstreben.
Drei grundlegende malerische Elemente sind für Okujenis Ansatz von zentraler Bedeutung: Linien, Flächen und Farben. Die Linien bilden dabei die Grundlage. Sie formen Bögen und kreisartige Bewegungen, zeugen von Dynamik und innerer Spannung. Ecken entstehen zumeist aus Schnittpunkten zweier Linien. Durch das „Folgen einer Linie ohne abrupte Richtungswechsel“ versucht der Künstler, „einen Fluß beim Sehen zu ermöglichen“.
Die Flächen formen sich durch die Linienverläufe, sie sind quasi das Folgeprodukt. Das Spektrum des Farbauftrags reicht von ganz dünn aufgetragenen Stellen, an denen die Leinwand durchschimmert bis zu pastosen, kraftvollen Passagen. Okujenis Herangehensweise beinhaltet Reminiszenzen an die New York School und die damit verbundenen Anfänge des abstrakten Expressionismus Anfang der 1940er Jahre. Die schwarzen Konturlinien, prägend für sein derzeitiges Schaffen, fanden damals rege Anwendung, unter anderem bei Arshile Gorky, Wilhelm de Kooning und etwas später Helen Frankenthaler. Auch in dem feinen Ausbalancieren abstrakter und gegenständlicher Elemente ist eine Verbindung zu Gorky und de Kooning auszumachen, die sich – jeweils auf ihre Weise – dem malerischen Kampf um das feine Gleichgewicht ebenfalls stellten.
Das Werk Pangea Ultima prägt mit seinen Abmessungen von 200 x 340 cm den Hauptraum der Ausstellung. Partiell scheinen Figuren aufzublitzen, die sich jedoch zumeist schnell wieder in den Wirrungen der Linienspiele verflüchtigen. Okujeni greift hier auf ein bewährtes Wechselspiel zurück: Während manche Bereiche narrative Anklänge beinhalten, in diesem Fall beispielsweise Assoziationen an Science-Fiction-Welten auslösen, sind andere Passagen explizit Ungegenständlich, ein Feuerwerk an Formen und Farben ohne erzählende Ebene. Pure Malerei.
Der Werktitel verweist auf den ehemaligen Urkontinent Pangea, eine zusammenhängende Landmasse, die alle jetzigen Kontinente umfasste. Metaphorisch handelt es sich dabei um einen Zustand der Erde, der die Umschreibung der Menschheit als Weltengemeinschaft von seiner abstrakten Ebene rückführt auf eine urzeitlichen Grundlage: Anfangs war alles eins.
Das Konzept einer Pangea ultima greift die Idee des Einheitskontinents auf und steht für die These, dass dieser Zustand in ferner Zukunft wiederkehren wird. Folglich ist die aktuelle Form, die Trennung der Kontinentalflächen ein nur vorübergehender Zustand – wenn jedoch von einer voraussichtlichen Dauer von 450 Millionen Jahren.
Die Werke des dem Ausstellungstitel gleichnamigen Zeichnungs-Ensembles GET IN SHAPE GET COLOR folgen allesamt einem ähnlichen formalen Aufbau, der von einer veränderten Einstellung zu erzählenden Bildelementen zeugt. Es ist eine Aufteilung in drei Raumebenen auszumachen, die den Eindruck einer räumlichen Perspektive verleihen: Im Vordergrund schälen sich Figuren aus dem Nebeneinander ungegenständlicher Flächen. Die Motive bleiben angedeutet, entziehen sich einer eindeutigen Zuordnung. Ein Schleier des Ungegenständlichen umhüllt sie. Der Bild-Mittelgrund ist geprägt von einem Farbverlauf aus Türkistönen, der Assoziationen an ein Gewässer erweckt. Den Hintergrund bilden dunkelgrüne Flächen, die in einen Farbverlauf sanfter Rottöne übergehen. Die Kombination der Formen und Farben weckt Erinnerungen an eine himmelumrandete Uferlandschaft. Im Gegensatz zu den Elementen im Bildvordergrund sind Wasser, Landschaft und Himmel eindeutiger zu identifizieren, trotz ihrer vergleichsweise reduzierten Umsetzungsweise sind sie weitaus gegenständlicher als das dichte Farb- und Formenkonzentrat im Bild-Vordergrund. Auf diese Weise kommt es zu einer Umkehrung der Wahrnehmung: Während der Bildvordergrund die Aufmerksamkeit auf sich zieht, bleibt er dennoch rätselhaft und unnahbar. Er sprudelt vor Formen und Farben und entzieht sich zugleich eindeutiger Lesbarkeit. Stattdessen ist es der flächiger gearbeitete Hintergrund, der konkrete Bilder aufkommen lässt und in der Betrachtung Halt und Orientierung bietet.
Malerei als Kampf um die richtige Mixtur von Formen und Farben, Dichte und Weite, Abstraktion und Gegenständlichkeit: Es ist ein Wandeln auf schmalem Grat, dem sich Okujeni hier stellt, denn zum Finden einer malerischen Ordnungsstruktur gehört für ihn stets der postwendende Ausbruch aus ihr. So ist es auch das Wechselspiel aus ungezügelten und gebändigten, zufälligen und geplanten Elementen, die diese Malerei so aufregend machen. Oder um es mit den Worten von Willem de Kooning zu sagen: "You have to keep on the very edge of something, all the time, or the picture dies."
Ulrich Okujeni (*1985) studierte von 2008 bis 2015 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Silvia Bächli. Er lebt und arbeitet in Karlsruhe.
Text: Julian Denzler