Myriam Schahabian
Spolia – Vom Gedächtnis der Dinge
Der Begriff „Spolia“ steht für die Wiederverwendung architektonischer Elemente aus vergangenen Kulturen in neuen Bauwerken. An ihrem neuen Ort symbolisieren sie den Wunsch nach Authentizität und verbreiten die Aura des Originals.
In meiner Deutung sind Spolien jedoch mehr als nur physische Überreste. Sie sind Symbole für die Transformation von Kultur und den fortwährenden Austausch zwischen Epochen und Welten. Gleichzeitig spiegeln sie meine inneren Archive wider – Fragmente aus tradiertem Wort und Bild verschiedenster Zeiten, die in die zeitgenössische Kunst überführt werden. Durch die Übernahme dieser Fragmente in neue Kontexte entstehen Arbeiten, die sich zwischen den fließenden Grenzen von Erinnerung und Gegenwart bewegen. Neben dieser persönlichen Bildikonographie greife ich auf die Ästhetik verschiedener Gattungen und deren Techniken wie Illumination, Metallarbeit, Textilkunst und Architektur zurück und übersetze diese in keramische Formen.
Die Entscheidung zugunsten von keramischen Erzeugnissen ist dabei kein Zufall: In vielen Kulturen besitzt der Werkstoff Erde eine tief verwurzelte spirituelle und philosophische Bedeutung. Der persische Universalgelehrte und Dichter Omar Chajjam sah in der Töpferscheibe eine Metapher für den ewigen Kreislauf des Lebens – die ständige Schöpfung, Zerstörung und Wiedererschaffung.
Die globalen Krisen, die jüngsten Konflikte im Nahen und Mittleren Osten und die daraus resultierenden humanitären Krisen sind unausweichliche Triebkraft meines Schaffens. In einer Zeit, in der Gewalt, Zerstörung und politische Repression den öffentlichen Diskurs beherrschen, möchte ich durch meine Kunst einen Raum schaffen, der tiefe Wunden sichtbar macht, gleichzeitig aber auch die Beständigkeit von Kultur aufzeigt.
Indem ich alte Motive, Texte und Symbole in neue künstlerische Kontexte setze, visualisiere ich die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Meine Werke erinnern daran, dass das kulturelle Gedächtnis durch materielles und immaterielles Erbe lebendig bleibt. Kunst wird so zu einem Ort der Reflektion über die uns allen gemeinsame Idee von Menschlichkeit und der Bedeutung von Schönheit und deren Resilienz.
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